Islamismus

»Ich wurde als Zionistin beschimpft«

Beteiligte sich an der Revolution gegen das Regime von Ägyptens Präsident Husni Mubarak, der 2011 gestürzt wurde: die Politologin Dalia Ziada Foto: privat

Leider dürfe sie nicht sagen, wo sie sich gerade aufhält, entschuldigt sich
Dalia Ziada zu Beginn des Video-Interviews. Vor einigen Wochen musste die 41-jährige Politologin ihre Heimat Ägypten fluchtartig verlassen, nachdem sie öffentlich das Vorgehen Israels im Kampf gegen die Hamas verteidigt und daraufhin unzählige Morddrohungen erhalten hatte. Ziada ist Mitbegründerin des Liberal Democracy Institute in Kairo und kämpft seit Jahren gegen den Islamismus. Ihr Wort hat nicht nur in der arabischen Welt Gewicht, die US-Zeitschrift »Newsweek« hatte die Wissenschaftlerin und Buchautorin schon zwei Mal in ihrem Ranking der einflussreichsten Frauen der Welt gelistet.

Frau Ziada, weshalb müssen Sie sich verstecken?
In Ägypten und überhaupt in den arabischen Medien wurde der Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober völlig verharmlost. Sie stellen das Massaker an 1200 israelischen Zivilisten bloß als einen weiteren »Zusammenstoß« zwischen israelischen Soldaten und Hamas-Kämpfern dar. Auch ich glaubte zuerst an diese Erzählung. Einen Tag nach dem Anschlag lud das israelische Verteidigungsministerium Hunderte arabische Journalisten und Intellektuelle zu einer Videokonferenz ein, auch mich. Dort wurden uns Aufnahmen des Massakers von Überwachungskameras gezeigt, ebenso Handyvideos der Terroristen. Wie da unschuldige Zivilisten, darunter Kinder, auf brutalste Art und Weise abgeschlachtet, Frauen vergewaltigt, Häuser niedergebrannt wurden – das war der blanke Horror! So etwas Schlimmes habe ich in meinem ganzen Leben noch nie gesehen.

Das haben Sie dann öffentlich gemacht?
Ich war danach unglaublich wütend darüber, wie uns die Medien anlügen. Die Israelis wurden bei uns als verrückte Schlächter dargestellt, die völlig grundlos Palästinenser töten. Ich habe nichts anderes gemacht, als auf sozialen Medien und in Interviews die Wahrheit über den 7. Oktober auszusprechen.

Was geschah dann?
Anfangs wurde ich einfach nur beschimpft. Das bin ich gewohnt, schließlich kämpfe ich seit Jahren gegen den politischen Islam. Dann aber begannen mich auch die etablierten Medien anzugreifen. So richtig schlimm wurde es, als ich dem israelischen Institute for National Security Studies ein Interview gab, das daraufhin auf Arabisch und Englisch publiziert wurde und in den sozialen Medien viral ging.

Weil Sie sich in dem Interview auf die Seite der israelischen Armee gestellt haben?
Ich erhielt Morddrohungen, wurde öffentlich als »Verräterin« und als »ägyptische Zio­nistin« beschimpft. Man muss wissen, dass das Wort »Zionist« bei uns einem Freibrief gleichkommt, die entsprechende Person zu töten. Ihr Blut ist nicht mehr heilig. Dabei war ich – so glaubte ich zumindest – mit meiner Meinung gar nicht so weit entfernt von der offiziellen Linie des Staates. Denn Ägypten bekämpft seit Langem die Islamisten, auch die Hamas, zudem pflegt man gute Beziehungen zu Israel. Im Wirtschafts- und Sicherheitsbereich arbeiten beide Länder eng zusammen.

Ihnen blieb nichts anderes als die Flucht ins Ausland?
Die Lage eskalierte zusehends. Parlamentarier beschimpften mich im staatlichen Fernsehen, bekannte Moderatoren griffen mich in ihren Sendungen an. Ich wurde verklagt wegen Hochverrats, als »Spionin des Mossad«. Es folgten zwei weitere Klagen, wonach ich eine »Bedrohung für die nationale Sicherheit« sei. Als dann noch Islamisten das Haus meiner Mutter aufsuchten und nach mir fragten, blieb mir nichts anderes übrig als die Flucht. Anderenfalls wäre ich nicht mehr am Leben oder säße im Gefängnis.

Setzt sich in Ägypten niemand für Sie ein?
Sicher nicht von den Behörden. Wer Israel unterstützt, ist für sie kriminell – obschon Ägypten seit 40 Jahren einen Friedensvertrag mit Israel hat. Es bricht mir das Herz, meine Heimat verlassen zu müssen. Zum Glück habe ich viele Freunde in aller Welt, die mich großartig unterstützen und mich bestärken, weiterhin dafür einzustehen, woran ich glaube.

Unterstützen Sie immer noch das Vorgehen Israels?
Zu 100 Prozent. Noch am 6. Oktober, also einen Tag vor dem Terrorangriff, lief vieles in der Region in die richtige Richtung. Überall war von Deeskalation die Rede, ein Friedensabkommen zwischen Israel und Saudi-Arabien schien in Reichweite, und es wurde darüber gesprochen, weitere Länder in das Abraham-Abkommen – also den Friedensvertrag zwischen den Vereinigten Arabischen Emiraten und Israel – mit einzubeziehen. Von einem Tag auf den anderen ist das alles zerstört. Genau das war die Absicht der Hamas-Terroristen und ihren Sponsoren, also dem Iran und Katar.

Heute gleicht der Gazastreifen einem Trümmerhaufen, Tausende Zivilisten kamen ums Leben, auch Frauen und Kinder. Die Welt fragt, ob Israels Reaktionen angemessen waren oder nicht. Wie sehen Sie das?
Jedes Land auf der Welt würde nach einem so brutalen Angriff genauso reagieren wie Israel. Wer hat die palästinensische Bevölkerung diesem Risiko ausgesetzt? Allein die Hamas. Diese Hamas-Ratten – ja, ich nenne sie bewusst Ratten – verkriechen sich feige in ihren Tunneln, während die Zivilisten oben dem Bombenhagel ausgesetzt sind. Würde ihnen das palästinensische Volk wirklich am Herzen liegen und nicht ihre krude Ideologie, würden sie es umgekehrt machen und den Zivilisten in den Tunneln Schutz bieten. Was mit der palästinensischen Bevölkerung gerade passiert, ist unendlich traurig.

Weshalb wehrt sich die Bevölkerung dann nicht gegen die Hamas?
Es gab tatsächlich einige Proteste in Gaza gegen die Hamas. Der Leitspruch der Demonstranten lautete: »Wir wollen leben.« Was oft vergessen wird, gerade bei ihren Unterstützern im Westen, ist die Tatsache, dass die Hamas eine Bewegung des islamistischen Widerstandes ist, nicht des palästinensischen. Ihr geht es nicht um einen palästinensischen Staat – die Islamisten lehnen den Begriff der Nation ab –, sondern sie streben ein Kalifat an. Wenn in der jetzigen Situation von einem »palästinensischen Freiheitskampf« gesprochen wird, so ist das eine riesige Lüge. Der Hamas ist das palästinensische Volk völlig egal, das Leben der Menschen ist für sie nichts wert.

Trotzdem gibt es im Westen keine Demonstration gegen die Hamas, nur gegen Israel.
Es deprimiert mich zu sehen, wie in Europa und den Vereinigten Staaten die Hamas zum Teil blindlings unterstützt wird, vor allem an den Universitäten. Noch verstörender ist es, wenn Menschen aus der LGBT-Community oder Feministinnen sich auf diese Seite stellen. Wissen sie eigentlich, was mit ihnen in so einem Kalifat geschehen würde, wie es die Hamas errichten möchte? Sie würden abgeschlachtet! Einfach nur, weil sie eine Frau sind oder homo­sexuell.

Wie erklären Sie sich diese Unterstützung?
Zum Teil hat es sicher damit zu tun, dass die Islamisten die offenen Gesellschaften bereits infiltriert haben. Die Muslimbruderschaft hat schon in den 90er-Jahren schriftlich ihre Strategie festgehalten, wie sie den Westen von innen heraus verändern will, und zwar soll die zweite Generation von Einwanderern in den Universitäten und anderen Institutionen integriert werden. Von dort aus verbreitet sie dann das islamistische Gedankengut sowie ihre Lügen über die Hamas und die Palästinenser. Vor allem junge Menschen im Westen, die sich progressiv geben, sprechen gut darauf an. Ich glaube, wir sehen gerade, wie dieser Plan anfängt, Früchte zu tragen.

Auf Ihrem Social-Media-Account vermitteln Sie Hintergrundinformationen. Zum Beispiel, wie eng Ägypten mit Israel bei der Terrorbekämpfung zusammenarbeitet. Warum?
Viele Leute glauben, die Hamas kämpfe nur gegen Israel. Dabei leiden auch arabische Staaten unter ihrem Terror. In den Jahren nach dem Arabischen Frühling 2011 nutzte die Hamas die Schwäche Ägyptens aus und drang von Gaza her auf die Sinai-Halbinsel ein. Dort gründete sie kleine Terrorzellen, die sich mit der Zeit zusammenschlossen und behaupteten, Teil des Islamischen Staats zu sein. Sie griffen die koptischen Christen an, töteten aber auch Muslime und lieferten sich Kämpfe mit ägyptischen Soldaten. 2017 forderte ein Anschlag auf eine Moschee mehr als 300 Tote. Das war eine schlimme Zeit für Ägypten.

Was war die Rolle Israels dabei?
In Absprache mit der ägyptischen Regierung bombardierte Israel in verdeckten Operationen die Stellungen der Terroristen. Präsident Abdel Fattah al-Sisi gab später zu, dass wir ohne die Hilfe Israels die Terroristen nicht losgeworden wären.

Weshalb arbeiten die beiden Länder bei der Terrorbekämpfung jetzt nicht wieder zusammen?
Für mich ist das eine große Enttäuschung. Alle arabischen Staaten des Nahen Ostens sollten Israel darin unterstützen, die Hamas und die mit ihr verbündete Hisbollah im Libanon sowie die Huthi-Bewegung im Jemen zu besiegen. Dass Israel diesen Krieg durchzieht, ist also auch in ihrem Interesse.

Die arabischen Staaten wehren sich vehement dagegen, Flüchtlinge aus dem Gazastreifen aufzunehmen. Weshalb?
Jedes Land hat andere Gründe. Jordanien und Ägypten geht es wirtschaftlich schlecht, die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch, da möchte man sich nicht noch um Flüchtlinge kümmern. Einige der möglichen Zufluchtsländer haben zudem bereits sehr viele andere Flüchtlinge aufgenommen, aus Libyen, dem Sudan oder Syrien. In Ägypten ist man außerdem besorgt, dass sich Hamas-Terroristen unter die Flüchtlinge mischen könnten. Und die reichen Öl-Staaten sind ohnehin der Meinung, ihre Rolle sollte sich darauf beschränken, aus der Distanz Hilfe zu leisten.

Wie sehen Sie die Rolle Katars? Einerseits finanziert das Land die Hamas, andererseits vermittelt es zwischen den beiden Kriegsparteien?
Katars Politik ist höchst manipulativ. Das Land hat es zusammen mit dem Iran erst ermöglicht, dass die Hamas so stark werden konnte. Katar spielt sich nun als Mediator und Friedensstifter auf, dabei trägt das Land eine große Verantwortung für das Chaos, das die Hamas am 7. Oktober im gesamten Nahen Osten angerichtet hat.

Gibt es in der arabischen Welt viele Menschen, die so denken wie Sie und Israel unterstützen? Oder gehören Sie zu einer winzigen Minderheit?
Es ist eine Minderheit, doch ganz so klein ist sie nicht. Nur traut sich kaum jemand, offen zu reden. Ich verstehe das gut. Niemand soll erleben müssen, was ich jetzt durchmachen muss. Ich bin zutiefst überzeugt: Wer wirklich an Gott glaubt – egal, in welcher Religion –, der weiß, dass Gott nicht will, dass man einander tötet. Ich als gläubige Muslimin fühle mich angegriffen durch die seit Jahrzehnten verbreitete Rhetorik, Muslime müssten Juden hassen und es gebe einen ewigen Kampf zwischen den zwei Religionen. Seit ich klein bin, habe ich guten Kontakt zu Juden – es waren alles sehr liebevolle Menschen. Deshalb lautet meine Mission: Die Juden sind nicht unsere Feinde, wir können zusammenleben!

Zweifeln Sie manchmal an Ihrem Glauben, wenn Sie sehen, was alles im Namen der Religion angerichtet wird?
Meine Verbindung zu Gott ist etwas sehr Persönliches. Ich lebe den Glauben ganz auf meine Art, sehr friedlich, ohne andere davon überzeugen oder jemandem etwas aufzwingen zu wollen. Das unterscheidet mich von den Fanatikern.

Mit der ägyptischen Politologin sprach Rico Bandle.

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