Judenfeindschaft

Das ist Antisemitismus

Delegitimierung und Dämonisierung Israels gehören zu den Kennzeichen moderner Judenfeindschaft. Foto: dpa

Aus gegebenem Anlass ist es notwendig, zu erläutern, was unter Antisemitismus zu verstehen ist. Umgangssprachlich versteht man unter Antisemitismus einfach Judenfeindschaft, aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive lässt sich der Begriff schärfer eingrenzen. »Judenfeindschaft« ist eine »Einstellung« gegenüber Juden, die sich als negatives Vorurteil oder ablehnendes Ressentiment äußert.

Diese »Einstellung« kann sich zu Handlungsbereitschaft verfestigen. Das, wozu judenfeindliche Personen bereit sind, umfasst ein breites Spektrum: von abfälligen Äußerungen über brüskierende Verhaltensweisen bis zu körperlichen Angriffen oder dem Willen, sich an Maßnahmen wie beruflicher Diskriminierung, Enteignung, Ausbürgerung oder massenhaftem Mord zu beteiligen.

vorurteil Historisch hat sich Judenfeindschaft in der Antike als negatives Vorurteil bei einzelnen Autoren, etwa Tacitus – »Der Juden Bräuche sind fade und abgeschmackt« –, oder in Form diskriminierender Gesetze geäußert: So war es Juden verboten, nichtjüdische männliche Haushaltsangehörige beschneiden zu lassen. In der christlichen Kultur des Mittelalters äußerte sich Judenfeindschaft als »Antijudaismus«. Unter Bezug auf Schriften des Neuen Testaments wurden Juden als »Gottesmörder«, »Kinder des Satans« oder »Heilsverhinderer« ausgegrenzt.

Indes: Meist war es möglich, sich den damit verbundenen Bedrängungen durch Übertritt zum Christentum zu entziehen. Im Zeitalter der Aufklärung verbindet sich der Antijudaismus mit einem naturwissenschaftlichen Weltbild, dem Glauben, dass Menschen wie Zuchttiere durch ihr unveränderliches, biologisch festgelegtes Verhaltensprogramm gekennzeichnet sind. Dieser Haltung konnten sich Juden auch durch Konversion nicht mehr entziehen.

welterklärung Ein Wahlspruch der frühen, sich selbst so bezeichnenden »Antisemiten« lautete: »Was er glaubt, ist einerlei, im Blute liegt die Schweinerei!« Spätestens seit dem 19. Jahrhundert dient der Judenhass als Welterklärung, die hinter den sozialen Verwerfungen des Industriezeitalters und der entstehenden kapitalistischen Wirtschaftsordnung, aber auch ihren revolutionären Feinden, geheim agierende Drahtzieher vermutet.

Dieser Antisemitismus fungierte, so die israelische Historikerin Shulamit Volkov, als »kultureller Code«, mit dem sich Gruppen und Personen bei sonst unterschiedlichen Meinungen vereinen konnten, aber auch – so Saul Friedländer – als »Erlösungsantisemitismus«, eine Ideologie, die sich von der Elimination aller Juden die Rettung der Welt versprach. So Hitler in Mein Kampf: »Indem ich mich des Juden erwehre, tue ich das Werk des Herrn.« Zu erwähnen sind gegenwärtig alle Formen der Leugnung des Holocaust sowie der radikale Islamismus – etwa der iranische Präsident Ahmadinedschad oder die Charta der Hamas.

feindselig Es war der Antisemitismusforscher Léon Poliakov (1910–1997), der in feindseligen Äußerungen über den Staat Israel eine neue Form des Antisemitismus sah: Israel als »Jude« der Staatenwelt. Der ehemalige sowjetische Bürgerrechtler und heutige israelische Politiker Natan Sharansky hat dazu drei Kriterien vorgeschlagen: Erstens die »Dämonisierung«, wenn politische Handlungen israelischer Regierungen extrem negativ bewertet werden, etwa wenn israelische Luftangriffe auf Terroristen, bei denen auch Zivilisten sterben, als »Völkermord« bezeichnet werden.

Zweitens »Doppelter Standard«, wenn Israel etwas angekreidet wird, was anderswo hingenommen wird: wenn etwa die Besiedlung von Teilen der »Westbank« durch Israel kritisiert wird, ohne die Annexion Tibets durch China anzuprangern, wenn aggressive jüdische Fundamentalisten benannt werden, ohne zugleich islamistische Selbstmordattentäter zu erwähnen.

Drittens die »Delegitimation«, wenn über eine negative Beurteilung der Handlungen israelischer Regierungen zugleich die Existenzberechtigung des Staates infrage gestellt wird.

verdächtig Unklar bleibt bei Sharanskys Vorschlag, ob bei einer verdächtigen Äußerung alle drei Kriterien erfüllt sein müssen. Vor allem erweist sich das zweite Kriterium – »Doppelter Standard« – als untauglich, einfach deshalb, weil es in politischen Auseinandersetzungen, zu denen oftmals negative Bewertungen bestimmter Personen oder Institutionen gehören, unmöglich ist, alle anderen, die ähnlich handeln, aufzuführen.

Weitere Fragen wirft das erste Kriterium auf: Gehört zur »Dämonisierung« die paranoid verschwörungstheoretische Perspektive hinzu? Schließlich ist auch das Kriterium der »Delegitimation« weniger eindeutig, als es auf den ersten Blick scheint: Liegt ein judenfeindlicher Fall von »Delegitimation« vor, wenn die PLO nur bereit ist, Israel als Staat in den Grenzen von 1967 und nicht als »jüdischen Staat« mit noch offenen Grenzen anzuerkennen?

Auf jeden Fall zeigt sich, dass eine Untersuchung zum öffentlichen Gebrauch des Wortes »Antisemitismus« mehr Fragen aufwirft als Antworten bereithält. Doch was Judenfeindschaft ist, können immer noch diejenigen am ehesten bewerten, die von ihr direkt betroffen sind: Juden. Aber die sind bekanntlich oft unterschiedlicher Meinung.

Der Autor ist Professor für Erziehungswissenschaft und Publizist.

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