Frau Schumann, Sie haben sich bei einer Anhörung kürzlich in Wildeshausen deutlich gegen eine Verlegung von Stolpersteinen ausgesprochen, warum?
Ich denke, dass Erinnerungsarbeit lebendig bleiben muss. Wenn man einen Stein in den Boden zementiert, ist das sehr statisch. Der Akt ist abgeschlossen, die Menschen gehen darüber und keiner denkt mehr darüber nach. Außerdem werden Straßen in fünf oder zehn Jahren neu gepflastert, oder Plätze neu gestaltet. Autos parken darauf. Für mein Empfinden – aber natürlich gibt es auch andere Meinungen dazu – ist eine solche Form des Erinnerns nicht nachhaltig genug. Außerdem darf Erinnerungsarbeit nicht zum Konsumgut werden. Man darf sich nicht mit 90 Euro für einen Stein der Erinnerung entledigen.
Sind in Oldenburg Stolpersteine geplant?
Die Stadtverwaltung Oldenburg hat klar gesagt, dass sie Steine nicht gegen das Votum der jüdischen Gemeinde verlegen lassen würde.
Ist die Recherche von Schülern zu Juden, denen ein Stein gesetzt werden soll, nicht auch Erinnerungsarbeit?
Für die Schüler heute ist das sicher richtig und löblich. Aber am Beispiel der Gedenkstätten sieht man, dass Erinnerungsarbeit ständig wieder neu begonnen werden muss, sie sich auf neue Generationen, auf ein anderes Denken, auf eine sich wandelnde Gesellschaft einstellen muss. Erinnerungsarbeit darf nicht statisch bleiben.
Wie kann man Ihrer Meinung nach Erinnerung nachhaltig gestalten?
In Oldenburg hat sich vor einem Jahr ein Arbeitskreis »Erinnerung« gegründet. 30 bis 35 Universitätsangestellte, Professoren, Lehrer und Laien denken darüber nach, wie man sich mit Erinnerung beschäftigten und sie an die nächste Generation weitergeben kann. Sie entwickeln neue Wege, um auch junge Menschen anzuregen, sich wieder der Geschichte zuzuwenden, finden Zugangsformen, die Jugendliche verstehen und bei denen sie aktiv mitarbeiten können.
Erinnerungsarbeit ist also nie abgeschlossen?
Nein, ich erinnere immer daran: Wir würden ja sonst auch nicht jedes Jahr Pessach feiern, wenn wir Erinnerung nicht immer wieder so auffassen würden, als seien wir selbst diejenigen, die daran beteiligt waren. Wenn die Generation jetzt über die Schicksale arbeitet und das möglicherweise auch aufschreibt, ist das okay. Für die nächste Klassenstufe hat sich diese Arbeit erledigt.
Das heißt, man muss in Zukunft medial auch andere Wege gehen?
Man muss die modernen Medien nutzen. Ich greife einfach nur das auf, was beim letzten Treffen für Ideen angesprochen wurden: Etwa, dass man zum 9. November mittels einer Lichtinstallation Namen an Wände projiziert, oder Schüler einen Stadtplan erstellen, auf dem die Wohnungen der Familien verzeichnet werden, der dann ins Netz gestellt wird. Das nenne ich ›sich intensiv damit zu beschäftigen‹. Dann können die Geschichten der Familien noch zusätzlich aufgearbeitet werden. Ich denke, man muss die Arbeit so gestalten, dass sich auch die nächste Generation intensiv mit der Erinnerung beschäftigt. Und das tun wir, wenn wir Stolpersteine verlegen, eben nicht.
Mit der Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Oldenburg sprach Heide Sobotka.